Getreidefelder

Eine unterschätzte Gefahr

Getreide - eine oft unterschätzte Gefahr im Sommer


2018  hat Tindra uns den Albtraum jeden Hundehalters beschert - sie war schwer krank und es gab 2 Wochen lang keine gesicherte Diagnose. Im Endeffekt hatte Tindra ein riesen Glück!

Was war passiert?

Sonntags waren wir auf einer Ausstellung. Es war warm und wir hatten einen tollen und erfolgreichen Tag. Am nächsten Morgen lief ich mit Tindra wie gewohnt unsere Morgenrunde durch die Felder rund um Langenselbold. An Getreide vorbei hoch zum Wald und von dort wieder zurück. Unterwegs wurde wie üblich hier und da geschnüffelt und natürlich auch mit dem geliebten Ball gespielt. Soweit so gut! Der Hund war fit wie ein Turnschuh und freute sich seines Lebens.

Nach der Arbeit fing sie auf dem Spaziergang ab und an an würgend zu husten und spukte auch etwas weißen Schleim aus. Na gut, nach einer Ausstellung mit vielen fremden Hunden kommt es ja schonmal vor, dass man mit Zwingerhusten im Gepäck heim fährt - trotz Impfung. Da Zwingerhusten zwar lästig, in der Regel aber ungefährlich ist, bekam Tindra Ruhe verordnet und Einzelhaft. Der Husten blieb die nächsten Tage unverändert, der Hund war aber nach wie vor erstaunlich fit. Trotzdem entschlossen wir uns mittwochs sie unserer Tierärztin vorzustellen. Sicher ist sicher.Tindra wurde also ins Auto verfrachtet und auf den Kopf gestellt. Erste Diagnose: Es ist kein Zwingerhusten! Sie hustet zu wenig und zeigt keine typischen Symptome. Dafür hat sie aber >40°C Fieber. Es folgten Blutuntersuchungen und ein Röntgen der Lunge. Dabei zeigte sich, dass die großen Lungenflügel verschattet waren -> sie hat also eine Lungenentzündung. Lungenentzündungen kommen beim Hund grundsätzlich zwar schon vor, sind aber extrem selten.  Gründe können neben einer bakteriellen Infektion auch Fremdkörper sein. Allerdings sollte sich dann eine gut abgrenzbare, verschattete Region darstellen und keine fast komplett entzündete Lunge. Auch Lungenwürmer können eine Ursache sein. Unsere Tierärztin versorgte uns mit einem Breitbandantibiotikum, fiebersenkenden Schmerzmitteln und der Auflage das Fieber gut im Auge zu behalten. In drei Tagen sollten wir zur Kontrolle wieder kommen.

Bis Samstag ging es Tindra soweit gut. Sie hustete zwar weiterhin ab und zu, aber das Fieber ging runter. Samstag morgen verschlechterte sich ihr Zustand dann plötzlich. Das Fieber ging hoch, der Hund war total schlapp und die Atmung wurde flach und schnell. Aufgrund dieser Tatsach fuhr ich nach Absprache mit unserer Haustierärztin mitsamt aller bisherigen Ergebnisse in eine bekannte Tierklinik im Rhein/Main Gebiet. Dort angekommen wurde erstmal befunden, dass der Hund ja einen stabilen Eindruck macht. Es wurden neue Röntgbilder gemacht und die Blutwerte bestimmt. Soweit alles unverändert. Weder besser, noch schlechter. Wir wurden mit einem Termin am Montagmorgen zur Lungenspiegelung versorgt, um zu schauen, ob sich nicht doch ein Fremdkörper im Hund versteckt, und wieder nach Hause entlassen. Im weiteren Laufe des Tages verschlechterte sich Tindras Zustand weiter und nachts um 23 Uhr waren wir wieder in der Klinik mit dem festen Vorsatz das Antibiotikum zu wechseln, um die Entzündung wieder in den Griff zu bekommen . Das Aktuelle schien keine durchschlagende Wirkung zu haben, da das Fieber trotz fiebersenkender Mittel weiter knapp unter 40°C lag. Tja, leider haben wir diesen Vorsatz ohne die Tierärzte gemacht ;-) Aufgrund einer neuen Verordnung zum Thema Antibiotikaeinsatz in Haus- und Nutztierhaltung wurde der Wechsel ohne vorhergehendes Antibiogramm abgelehnt - obwohl die Verordnung Ausnahmen zulässt, wenn es dem Tier schlecht geht und Gefahr in Verzug ist. Wir zogen also abermals unverrichteter Dinge wieder ab mit der Aussage, das ein junger, fitter Hund so ein bisschen Fieber ja gut wegstecken könne.

Nach einer durchwachten Nacht ging es Tindra am Sonntagmorgen weiterhin schlecht und nach Absprache mit Maria fuhr ich mit ihr zu ihrem Tierarzt, der extra für uns seine Praxis öffnete. Dort angekommen wurde Tindra erstmal mit Infusionen versorgt, da sie aufgrund des langen und hohen Fiebers natürlich nicht genügend Flüssigkeit aufgenommen hatte. Des Weiteren gab es ein neues Antibiotikum und die Auflage die nächsten Tage für Infusionen und Antibiotikumspritzen vorbei zu kommen. Fiebersenkende Schmerzmittel sollte sie natürlich weiterhin bekommen und zusätzlich Schleimlöser gegen den Husten. Die Woche verging wie im Fluge und Tindras Fieber sank langsam, aber stetig, sodass wir samstags wieder mit gutem Gefühl nach Hause fuhren.

Bis Sonntag Abend ging es Tindra dann verhältnismäßig gut. Dann stieg das Fieber trotz Medikamenten wieder an und die Atmung verschlechterte sich rapide. Nach einer durchwachten Nacht brachte ich sie Montag Morgen als Notfall in die Kleintierklinik der Universität Gießen. Dort angekommen wurden wir unverzüglich aufgenommen, sämtliche Befunde wurden gesichtet, Blut abgenommen und die Lunge erneut geröngt. Der bisher immer als unwahrscheinlich geltende Verdacht auf einen Fremdkörper in der Lunge rückte in den Fokus. Die neuen Röntgenbilder zeigten, dass die Lungenflügel nicht nur verschattet waren, sondern zwischenzeitlich auch zusammengefallen waren. Tindra hatte einen Pneumothorax! Aufgrund akuter Lebensgefahr wurde umgehend der  Sauerstoffgehalt im Blut gemessen (er lag nur noch bei 91%) und in Narkose zwei Thoraxdrainagen gelegt. Nun war guter Rat teuer. Das Leben unseres jungen, bisher immer fitten und agilen Hundes stand auf Messers Schneide und im Gespräch mit dem behandelnden Oberarzt stand die Frage im Raum: OP, ja oder nein? Die Drainagen förderten permanent Luft aus dem Bauchraum heraus, sowie große Mengen eitriger Flüssigkeit. Die einzige Möglichkeit wäre ein CT/MRT mit anschließender offener OP im Brustbereich, um zu schauen, was dort genau vor sich geht und warum. Die Erfolgsaussichten anderseits waren nicht gut abschätzbar. Von den Kosten für die OP und die Nachsorge mal ganz zu schweigen. Dennoch: Einen 1,5 Jahre alten Hund, der morgens trotz wirklich kritischem Allgemeinzustand noch lustig um die bei der ersten Untersuchung anwesenden Studenten hopste, wollten wir nicht einschläfern! Sie hat so lange tapfer gekämpft und sollte ihre Chancen bekommen wieder auf die Beine zu kommen.

Tindra wurde nachmittags am 09.07. über mehrere Stunden am offenen Brustkorb operiert. Abends um 21.43 Uhr kam der erlösende Anruf: Sie hat es geschafft und ist wieder wach!

Die Chirurgen haben im Pleuralraum eine komplette Getreideähre gefunden. Tindra muss sie morgens am 25.06. beim Spazierengehen am Feldrand über das Maul eingeatmet haben. Entweder beim Schnüffeln oder beim Ballspielen - das werden wir nie heraus finden. Die Ähre ist durch die Luftröhre in den linken großen Lungenflügel gerutscht und zur Entzündung der kompletten Lunge geführt. Da Ähren genau wie ihre kleineren Bestandteile, die Grannen, sehr gerne im Körper wandern, ist sie nicht in der Lunge liegen geblieben, sondern hat den Lungenflügel durchbohrt und war auf dem Weg zum Herzen. Während der OP wurde die Ähre gefunden und durch spülen mit mehreren Litern Flüssigkeit alle bereits abgebrochenen Haar aus dem Brustraum entfernt. Der stark entzündete und zerstörte Teil des Lungenflügels wurde entfernt.

Nach 3 Tagen auf der Intensivstation konnte Tindra auf die normale Station wechseln und sorgte dort für tägliches Kopfschütteln. Dem Hund war schlicht und ergreifend langweilig und dann kann man sich die Zeit ja prima damit vertreiben zum Beispiel Infusionsschläuche durchzufressen... 10 Tage blieb sie insgesamt in Gießen ehe Maria sie abholen konnte. In der Zeit war aus unserer kräftigen Hündin ein schwarzes Bündel aus Haut und Knochen geworden. Und: Sie knisterte! Als Nebenwirkung der Thoraxdrainagen hatte sich ein Hautemphysem gebildet, bei dem Luft unter der Haut läuft und erst mühsam über längere Zeit wieder abgebaut wird. Ein nicht gerade ungefährlicher Zustand...

In den folgenden 8 Wochen wurde Tindra von Maria sorgsam wieder aufgepäppelt und rund um die Uhr betreut. Es war eine schwere und nervlich sehr aufreibende Zeit, aber es hat sich gelohnt! Tindra ist heute wieder genauso fröhlich und lustig wie vorher. Das fehlende Stück Lunge ist kaum noch bemerkbar und die anderen Lungenflügel haben die Funktion des fehlenden Stücks übernommen. Selbst am Fahrrad laufen geht nach entsprechendem Training wieder prima. Lediglich ein leichtes Husten ist ab und an bei Aufregung noch zu bemerken und wird wohl auch bleiben. Die über insgesamt 3 Monate hochdosiert verabreichten Antibiotika hat Tindra prima weg gesteckt und auch das Herz hat die ganzen Anstrengungen ohne Spätfolgen überstanden. Der Herzultraschall 5 Monate nach der OP war komplett unauffällig worüber wir uns natürlich sehr gefreut haben. Nach so einer schweren Infektion ist das nicht selbstverständlich.

Seit dieser Geschichte gehen wir (und auch etliche Freunde & Bekannte) mit kritischerem Blick auf unsere Hunde durch die Felder. Den Kontakt zu reifem Getreide versuchen wir zu meiden. Einmal so eine Geschichte reicht völlig ;-) Man kann seine Hunde zwar nicht vor allem beschützen, und sollte es natürlich auch nicht, aber man muss sein Schicksal auch nicht herausfordern.  Gerade in trockenen, heißen Sommern brechen die Getreidehalme leicht und das Risiko ist recht groß, dass die Hunde sich Grannen einfangen. Sei es in der Pfote, im Ohr, in der Haut oder eben im Atmungstrakt.

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